Starke Beruhigungsmittel gefährden jeden dritten Demenzkranken
17. Juni 2009 von Gutmann
Zum neunten Mal veröffentlicht der Arzneimittel-Report der Gmünder ErsatzKasse die aktuellen Ausgabentrends und Daten zur Versorgungsqualität im Arzneimittelsektor.
Wesentliche Ergebnisse: Steigerung der Ausgaben von rund 9 Prozent pro Versichertem im Jahr 2008 und überproportionales Ausgabenwachstum bei Spezialpräparaten gegen Multiple Sklerose, rheumatische Arthritis und Krebs. Bei der Versorgungsqualität fällt unter anderem auf: Trotz bekannter Risiken erhielten rund 30 Prozent der Demenzpatienten bei der GEK stark wirkende Beruhigungsmittel, sogenannte Neuroleptika, verordnet.
Seit 2001 erscheint der GEK-Arzneimittel-Report. Im selben Jahr überstiegen die Ausgaben für Arzneimittel in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erstmals die Aufwendungen für ärztliche Behandlungen. Aus dem Jahr 2008 hat nun das Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen (ZeS) rund 10,9 Millionen Arzneimittelverordnungen der GEK für den GEK-Arzneimittel-Report 2009 ausgewertet.
Die Einzelanalysen des Reports, die sich schwerpunktmäßig der Verordnung von Psychopharmaka bei älteren Menschen und Kindern widmen, zeigen hervorstechende Ergebnisse: Beinahe jeder dritte GEK Versicherte mit einer Demenz-Diagnose bekam 2008 ein Neuroleptikum verordnet, obwohl das erhöhte Sterblichkeitsrisiko durch die Einnahme bekannt ist. Nach dem Konsum dieser stark wirkenden Beruhigungsmittel zeigen sich bei Demenzkranken immer wieder gefährlichste Arzneimittelwirkungen wie kardiovaskuläre Probleme, Infektionen oder Schlaganfälle.
Professor Gerd Glaeske, Hauptautor des Reports und Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen fordert: „Die Neuroleptika-Verordnungen müssen drastisch gesenkt werden, sie bedeuten eine erhebliche Gefährdung für Demenzpatienten. Vorhandene Therapiehinweise werden offensichtlich nicht ausreichend berücksichtigt – zum Schaden der älteren Menschen.“
Bei den Ausgaben hält der Trend an: Die Arzneimittelausgaben der GEK stiegen im Jahr 2008 von 421 auf 487 Millionen Euro, ein Plus von 9 Prozent je Versichertem. Ein Grund sind überproportionale Steigerungen bei biotechnologisch hergestellten Präparaten („Biologicals“), die etwa bei multipler Sklerose oder rheumatoider Arthritis eingesetzt werden und extrem teuer sind. Bei einigen Biologicals summieren sich die Jahrestherapiekosten oft auf 70.000 bis 80.000 Euro.
Der Anteil der Biologicals an den Arzneimittelausgaben insgesamt macht in der GKV bereits rund 13 Prozent aus und wächst stetig. Unter die sechs ausgabenstärksten Arzneimittel der GEK im Jahr 2008 fallen schon fünf Biologicals. Für Arzneimittel mit Anwendungsschwerpunkt Rheumatoide Arthritis wurde eine absolute Steigerung von rund 43 Prozent verzeichnet. Pro Versichertem liegen diese Ausgabenzuwächse zwischen 13 und 45 Prozent, das bedeutet absolut zwischen 20 und 55 Prozent.
Für den Arzneimittelexperten Glaeske haben die Steigerungsraten der Spezialpräparate eine kritische Grenze erreicht: „Dass die Pharma-Unternehmen ihre Preise noch immer selbst festlegen dürfen, wirkt auf die Versorgung der Gesetzlichen Krankenversicherung systemsprengend.“ Er fordert, dass kein Arzneimittel mehr ohne Preisverhandlung auf dem GKV-Markt zugelassen wird.
Angesichts steigender Ausgaben und inkompatibler Regulierungsinstrumente mahnte der GEK Vorstandsvorsitzende, Dr. Rolf-Ulrich Schlenker, eine grundlegende Reform des Arzneimittelsektors an: „Wir brauchen weniger Steuerungsinstrumente und neue Steuermänner.“ Schlenker ließ Sympathie für den Vorschlag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung erkennen, wonach Ärzte den angemessenen Wirkstoff verordnen und Apotheker dazu das wirtschaftlichste Arzneimittel heraussuchen. Schlenker weiter: „Die Pharmakotherapie gewinnt weiter an Bedeutung, eine Aufwertung des Apothekers im deutschen Gesundheitswesen wäre daher sinnvoll. Dass diese Position kein bloßes Lippenbekenntnis ist, belegen unsere laufenden Gespräche mit dem Deutschen Apotheker Verband über die Einführung eines Zielpreismodells.“
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